Doppelstrangbrüche (DSB) in der DNA kommen zwischen 10- und 50-mal pro Zelle pro Tag vor, abhängig vom Zellzyklus und dem Gewebetyp. Es gibt zwei Mechanismen, um diese hoch-toxischen Doppelstrangbrüche zu reparieren: Die homologe Rekombination („homologous recombination“, HR) und die nicht-homologe Endverknüpfung („non-homologous end joining“, NHEJ). Die homologe Rekombination ist ein Reparaturweg mit hoher Genauigkeit, in der die ursprüngliche DNA-Sequenz wiederhergestellt wird. Hierfür wird eine passende Vorlage des DNA-Stranges für den Reparaturprozess verwendet. Im Gegensatz dazu ist die nicht-homologe Endverknüpfung ein fehleranfälliger Reparaturweg, denn die losen Enden eines Doppelstrangbruchs werden einfach zusammengefügt. Die ursprüngliche DNA-Sequenz wird bei diesem Reparaturweg also nicht erhalten.
Wenn der HR-Reparaturmechanismus nicht einwandfrei funktioniert, dann können Doppelstrangbrüche nur mit der fehleranfälligen nicht-homologen Endverknüpfung repariert werden. Dieser Reparaturmechanismus führt allerdings zur erhöhten genomischen Instabilität, da sich Mutationen immer weiter anhäufen. Die genomische Instabilität und Mutationen gehören zu den Kennzeichen von Krebs („hallmarks of cancer“). Daher können Zellen mit dysfunktionalem HR-Reparaturmechanismus eine elementare Rolle bei der Karzinogenese und dem Voranschreiten der Krebserkrankung spielen. Ein dysfunktionaler HR-Reparaturmechanismus ist auch als homologes Rekombinationsdefizit (“homologous recombination deficiency“, HRD) bekannt. Der HRD-Status einer Zelle, ob der HR-Reparaturmechanismus also funktionsfähig ist oder nicht – kann für therapeutische Interventionen entscheidend sein.
Wenn man den HRD-Status einer Krebszelle bestimmt, sollten zwei Aspekte berücksichtigt werden. Ein Grund für das HR-Defizit sind Mutationen in den Genen „breast cancer susceptibility genes 1 and 2“ (BRCA1 und BRCA2). Diese beiden Gene spielen eine entscheidende Rolle im Reparaturmechanismus der homologen Rekombination. Wenn Mutationen die Funktion dieser Gene beeinträchtigen, kann unter Umständen auch der HR-Reparaturmechanismus nicht mehr möglich sein. Dann bleibt nur noch die fehleranfällige nicht-homologe Endverknüpfung. Wie bereits erwähnt erhöht dieser Reparaturweg die genomische Instabilität, da sich Mutationen anhäufen. Die Bewertung der genomischen Instabilität ist der zweite Aspekt des HRD-Status. Zusammen mit der genomischen Instabilität sind umfangreiche, strukturelle Neuanordnungen oder Anomalien, wie zum Beispiel der Verlust der Heterozygotie („loss of heterozygosity“; LOH), umfangreiche Zustandsübergängen („large-scale state transitions“, LSTs) oder allelische Imbalancen der Telomere („telomeric allelic imbalances“, TAIs), messbare genomische Veränderungen. Mutationen in BRCA1 oder BRCA2 sind Ursachen der HRD, wohingegen die genomische Instabilität die messbare Konsequenz des HR-Defizits ist, welche als HRD-Wert angegeben werden kann. Der HRD-Status einer Zelle – ob sie HRD-positiv oder -negativ ist – hängt von der Technik ab, mit welcher der HRD-Wert bestimmt wurde. Die Techniken unterscheiden sich und können nicht direkt miteinander vergleichen werden, da sie auf unterschiedlichen klinischen Validierungsstudien basieren. In der klinischen Praxis werden unterschiedliche Grenzwerte definiert, mithilfe welcher der HRD-Status vom HRD-Wert abgeleitet wird.
Da nun klarer ist, wie der HRD-Status einer Zelle oder eines Tumors bestimmt werden kann, können wir uns auf seine Bedeutung für die möglichen Behandlungsoptionen konzentrieren. HRD-positive Tumore sind sensitiv für PARP-Inhibitoren. PARP ist die Poly-(Adenosin-Diphosphat [ADP]-Ribose) Polymerase. Sie spielt eine elementare Rolle im Reparaturmechanismus von Einzelstrangbrüchen. Wenn PARP inhibiert wird, dann können Einzelstrangbrüche nicht mehr adäquat repariert werden, was zu Doppelstrangbrüchen führt. HRD-positive Zellen sind nicht in der Lage, diese Doppelstrangbrüche korrekt mit der homologen Rekombination zu reparieren, wodurch sich Mutationen und genomische Instabilitäten anhäufen, was letztendlich zum Tod der Zelle führt. HRD-negative Zellen, wie normale, gesunde Zellen, haben ein funktionsfähiges HR-Reparatursystem und können die Doppelstrangbrüche ordentlich reparieren, was zum Überleben der Zelle führt. Diese Zellen besitzen die Fähigkeit zur homologen Rekombination („homologus recombination proficient“, HRP). PARP-Inhibitoren sind als Therapieoption bei Eierstock-, Brust-, Bauchspeicheldrüsen- und Prostatakrebs mit HRD-positiven Tumoren zugelassen. Die Bestimmung des HR-Status eines Tumors kann also essenziell für die Therapieentscheidung sein.
Abbildung 1 | Ein Defizit der homologen Rekombinationsreparatur hat Konsequenzen für Krebsbehandlungen. Die Verwendung von PARP-Inhibitoren kann in Zellen mit Einzelstrangbrüchen zu Doppelstrangbrüchen führen. In normalen Zellen werden diese Doppelstrangbrüche durch den homologen Rekombinations-Reparaturmechanismus (HRR) repariert, was zum Überleben der Zelle führt. In Tumorzellen, welche Mutationen in den BRCA1 und BRCA2 Genen und folglich ein Defizit in der homologen Rekombinationsreparatur (HRD) haben, können die Doppelstrangbrüche nur durch die nicht-homologe Endverknüpfung repariert werden, was zur Anhäufung von Mutationen und letztendlich zum Zelltod führt.