Ein Allel ist eine Genvariante an einer bestimmten genomischen Position. Allelfrequenzen spielen eine wichtige Rolle bei genetischen Variationen. In der Populationsgenetik geben Allelfrequenzen die Hรคufigkeit eines Allels in einer bestimmten Population an. Ein Beispiel hierfรผr ist die Hรคufigkeit der AB0 Allele, die fรผr die verschiedenen Blutgruppen verantwortlich sind. Die Allelfrequenz wird berechnet als Bruchzahl oder Prozentzahl, wobei die Hรคufigkeit, mit der das betreffende Allel in der Population beobachtet wird, im Zรคhler steht und die Populationsgrรถรe im Nenner. In unserem Beispiel in Abbildung 1 besteht die Population aus 50 Individuen, von welchen 6 das betreffende Allel tragen. Das ergibt eine Allelfrequenz von 12 %. Wenn die Allelfrequenz einer Variante รผber einem bestimmten Schwellenwert liegt, hรคufig รผber 1 %, dann wird diese Variante als Einzelnukleotidpolymorphismus (โsingle nucleotide polymorphismโ, SNP) und nicht als pathognomonisch relevante Variante eingestuft. Das bedeutet, dass die Variante nicht charakteristisch fรผr eine bestimmte Erkrankung ist. Informationen รผber Allelfrequenzen in bestimmten Populationen kรถnnen in geeigneten Datenbanken gefunden werden, wie zum Beispiel der โsingle nucleotide polymorphism database (dbSNP)โ.
Die Allelfrequenz in der Molekularpathologie unterscheidet sich maรgeblich von der Allelfrequenz in der Populationsgenetik. Die Allelfrequenz in der
Molekularpathologie konzentriert sich auf Next-Generation-Sequencing (NGS)-Analysen und dem Anteil der nachgewiesen mutierten Allele. Diese Allelfrequenz wird auch Varianten-Allelfrequenz (โvariant allele frequencyโ, VAF), Varianten-Allelanteil (โvariant allle fractionโ, VAF) oder Hรคufigkeit der mutierten Allele (โmutant allele frequencyโ, MAF) genannt. Die VAF wird berechnet als Anzahl der mutierten Molekรผle im Verhรคltnis zur Gesamtzahl der Wildtyp-Molekรผle an einer bestimmten Stelle im Genom. In unserem Beispiel in Abbildung 1 tragen 6 der 50 Molekรผle die betreffende Mutation. Dies fรผhrt zu einer VAF von 12 %.
Die VAF kann verwendet werden, um den Ursprung einer Variante zu bestimmen. Fรผr Keimbahnvarianten werden Varianten-Allelfrequenzen von 50 % fรผr heterozygote Varianten und 100 % fรผr homozygote Varianten erwartet. Varianten-Allelfrequenzen zwischen weniger als 1 % und 50 % kรถnnen auf Mosaik-Mutationen hinweisen. Beim Mosaizismus besitzen nicht alle Keimbahnzellen den gleichen genetischen Aufbau, da pathologische Verรคnderungen erst nach der Befruchtung stattfinden. Dies fรผhrt zu so-genannten postzygotischen Mutationen.
Im Fall von Tumoranalysen, in denen keine entsprechende Normalgewebsprobe vorhanden ist, kann die VAF verwendet werden, um Schlussfolgerungen darรผber anzustellen, ob eine Variante von somatischen Zellen stammt oder von den Eltern vererbt wurde. Das ist besonders interessant bei Flรผssigbiopsie-Analysen. Bei physiologischen Vorgรคngen, wie zum Beispiel der Apoptose oder Nekrose von Zellen, sowie der Sekretion, wird zellfreie DNA (โcell-free DNAโ, cfDNA) von normalem Gewebe und von Tumoren stammend (โtumor-derived DNAโ, ctDNA) in den Blutkreislauf freigesetzt. Diese DNA kann in Flรผssigbiopsie-Ansรคtzen eingefangen, sequenziert und analysiert werden โ und die VAF kann dabei helfen, den Ursprung einer Variante zu bestimmen. Da zellfreie DNA wรคhrend physiologischen Vorgรคngen freigesetzt wird, bietet die Analyse dieses genomischen Materials einen umfassenderen Blick รผber die Heterogenitรคt eines Tumors und seiner potenziellen Metastasen im Vergleich zu Analysen von Tumor-Gewebebiopsien. Zusรคtzlich hat zellfreie DNA eine relativ kurze Halbwertszeit von ungefรคhr zwei Stunden. Daher kรถnnen Flรผssigbiopsie-Analysen als โEchtzeitโ-Betrachtung des genetischen Tumorstatus betrachtet werden.
Die Menge der zellfreien DNA-Fragmente im peripheren Blutkreislauf ist allerdings begrenzt. Zusรคtzlich ist der Anteil der Tumormolekรผle innerhalb der bereits begrenzten Menge an zellfreier DNA noch geringer. Dieser Anteil รคndert sich auch abhรคngig von der Krebsart, seinem Stadium und seiner Lage. Daher kann die VAF bis auf 0,1 % sinken. Bei solch niedrigen VAFs ist es schwierig zu unterscheiden, ob eine Variante von einem Tumor abstammt oder ob es sich um eine intrinsische Fehlerrate des NGS-Prozesses handelt, wie sie zum Beispiel bei der Vorbereitung der Library, der Formierung von Clustern oder der Sequenzierung
selbst, vorkommt. Daher hat jeder Ansatz eine Nachweisgrenze (โlimit of detectionโ, LOT). Bis zu diesem Limit kรถnnen VAFs bestimmt und von intrinsischen Fehlern unterschieden werden. Daher mรผssen das Protokoll fรผr Flรผssigbiopsien und die anschlieรenden Analysen sorgsam ausgewรคhlt werden, um die VAFs eines Tumors zuverlรคssig zu bestimmen.

