Studien bestätigen: Alleinige Untersuchung von Tumorgewebe ohne Normalgewebsvergleich kann zu Fehldiagnosen und falschen Therapieentscheidungen führen

03. November, 2022

Internationale Experten sind sich einig: Für eine Tumordiagnostik sollten Tumorgewebe und Normalgewebe untersucht und verglichen werden. Die alleinige Untersuchung von Tumorgewebe kann zu Fehldiagnosen führen.

Diesen Ansatz verfolgt CeGaT seit 10 Jahren. Bei Tumor-Analysen werden immer Tumor- und Normalgewebe untersucht und verglichen. Nur so können somatische (tumorspezifische) von Keimbahnvarianten (vererbte Varianten) sicher unterschieden werden. Darauf aufbauend wird ein medizinischer Befund erstellt. Der Befund von CeGaT weist nicht nur die tumorspezifischen Varianten und ggf. relevante Keimbahnveränderungen auf. Er gibt auch immer konkrete Scores für TMB, MSI und HRD an. Tumorspezifische Therapieempfehlungen sind ebenso selbstverständlich wie Zulassungsinformationen über die Medikamente und eine Darstellung der betroffenen Pathways.

Das Wissen um tumorspezifische Varianten ist essenziell für eine Therapieempfehlung. Werden diese nicht korrekt bestimmt, da nur Tumorgewebe untersucht wurde, kann es passieren, dass Therapien vorgeschlagen werden, die auch gesunde Zellen angreifen. Zudem kann die Gesamtanzahl der Veränderungen im Tumor (TMB) nicht korrekt bestimmt werden, was die Indikation für Immuntherapien erschwert.

Die folgenden aktuellen Studien bestätigen uns in unserem Vorgehen:

TMB (Tumor Mutational Burden) – Überschätzung durch fehlenden Abgleich mit Normalgewebe

Nassar et al. 20221 haben gezeigt, dass die Sequenzierung von Tumorgewebe allein zu überschätzten TMB-Werten führen kann. Das gilt insbesondere, aber nicht nur, bei nicht-europäischen Patientinnen und Patienten. Grund für diese TMB-Überschätzung ist ein fehlender Abgleich der Sequenzierdaten des Tumors mit denen des Normalgewebes der erkrankten Person: In Tumor-only-Panels erfolgt die Identifizierung der Keimbahnvarianten durch einen bioinformatischen Abgleich mit Referenzdaten (z. B. GnomAD), die überwiegend auf Daten von europäisch-stämmigen Patientinnen und Patienten basieren. Asiatisch- oder afrikanisch-stämmige Menschen sind darin unterrepräsentiert, sodass Keimbahnvarianten fälschlich den somatischen und damit tumorspezifischen Varianten zugeordnet werden. Damit wird zudem häufig die Erblichkeit einer Tumorerkrankung übersehen.

Als Konsequenz ist eine humangenetische Beratung der Patientinnen und Patienten und ggf. der Familienmitglieder über die vorliegende familiäre Prädisposition nicht möglich. Zudem können notwendige Früherkennungsuntersuchungen nicht angeboten werden, was zu einer vermeidbaren Späterkennung einer Krebserkrankung bei Familienangehörigen führen kann.

Darüber hinaus konnten Nasser et al. zeigen, dass die abstammungsbedingte Verzerrung bei der TMB-Klassifizierung sich direkt im Behandlungserfolg niederschlägt. Patientinnen und Patienten mit nichtkleinzelligem Lungenkarzinom und überschätzten TMB-Werten zeigten kein verbessertes Überleben nach einer Immun-Checkpoint-Behandlung (ICI) im Gegensatz zu Patientinnen und Patienten, deren TMB-Werte dank Tumor-Normal-Abgleich korrekt eingeschätzt wurde. Durch einen Tumor-Normal-Abgleich könnten hier ICI-Therapien mit Nebenwirkungen ohne Effekt auf den Tumor vermieden und passende Therapieformen ohne Zeitverlust direkt angewandt werden.

Um eine TMB-Fehleinschätzung zu vermeiden, plädieren die Autorinnen und Autoren dafür, Sequenzierungen von Tumor- und Normalgewebe durchzuführen.

Tumor-Normalgewebe-Abgleich hilft bei der Interpretation von pathogenen Keimbahnmutationen

Srinivasan et al. 20212 haben in einer Studie mit mehr als 17.000 Patientinnen und Patienten untersucht, inwieweit Krebserkrankungen, die bei Patientinnen und Patienten mit vererbten pathogenen und damit potenziell krankheitsauslösenden Varianten auftreten, tatsächlich durch einen Keimbahndefekt verursacht werden. Ihre umfassenden Analysen von Tumor- und Normalgewebe deuten darauf hin, dass das bloße Vorhandensein einer Keimbahnmutation selbst bei einer kanonischen/häufig vorkommenden Krebsart nicht bedeutet, dass der Tumor durch das veränderte Keimbahnallel hervorgerufen oder primär angetrieben wird. Vielmehr sind unter anderem die Penetranz einer Keimbahnveränderung in einem bestimmten Gen, die Zygosität von Veränderungen und das Vorhandensein eines somatischen „second hit“ wichtige Determinanten. Diese Fehleinschätzung kann zu komplett ineffizienten Therapievorschlägen führen. Beispiel wäre eine BRCA1-Mutation, die den Tumor nicht ausgelöst hat, sondern rein zufällig vorliegt. Ein Tumor-Normalgewebsvergleich zeigt dies eindeutig durch Fehlen einer HRD (homologen Rekombinationsdefizienz). Eine PARP-Inhibition würde nicht wirksam sein.

Um ein komplettes Bild eines Tumors zu erhalten und die Rolle der Keimbahnvarianten in der Krankheitspathogenese bestimmen zu können sowie somatische Veränderungen als Treiber in einem bestimmten Tumor zu identifizieren, ist es daher notwendig, die somatischen Veränderungen durch einen Vergleich von Tumor- und Normalgewebe zu identifizieren und in die Interpretation der Keimbahnvarianten einzubeziehen. Nur in der Gesamtschau lässt sich sicher sagen, was einen Tumor wirklich antreibt und damit auch, was ein individuell erfolgsversprechendes therapeutisches molekulargenetisches Ziel darstellt.

Fazit

Beide Studien unterstreichen die Notwendigkeit eines Vergleichs von Tumor- und Normalgewebe, um für die Patientin oder den Patienten erfolgsversprechende Therapieempfehlungen erarbeiten zu können.

Darüber hinaus wird sichergestellt, dass familienrelevante Keimbahnvarianten nicht übersehen werden und diese dadurch in der Patientenbetreuung bzw. der genetischen Beratung berücksichtig werden können. Nur so können bei Nachweis einer erblichen Variante mögliche Konsequenzen für die Betroffenen selbst und weitere Familienmitglieder adressiert werden.

1Nassar et al. (2022). Cancer Cell 40, 1161–1172.
2Srinivasan, P., Bandlamudi, C., Jonsson, P. et al. (2021). The context-specific role of germline pathogenicity in tumorigenesis. Nat Genet 53, 1577–1585.